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„Verrätst du mir wenigstens deinen Namen, bevor ich dir einen Drink ausgebe?“ Die Augen des jungen Mannes fixierten die der Brünetten, die ihr schmales Gesicht hinter einer vergoldeten Maske versteckte. Ihre ebenfalls glitzernde Robe hatte etwas Märchenhaftes, während er – völlig in schwarz – etwas Dunkles, Geheimnisvolles, beinahe Gefährliches ausstrahlte.
Anonymität. Ach, dieses Wort jagt euch einen Schauer über den Rücken? Gut! Doch glaubt mir, wenn ich sage, dass das Spiel mit der Identität nicht nur ein beunruhigendes Herzklopfen auslösen kann, sondern auch seine Vorteile hat. Das schüchterne Mädchen aus dem Literaturkurs? Erkennt ihr sie, da hinten an der Bar, gehüllt in ein rotes Samtkleid, die Männerblicke auf sich ziehend? Vom Mauerblümchen zur teuflischen Diva. Damit habt ihr wohl nicht gerechnet, was? Bestimmt wollt auch ihr ein einziges Mal die Räumlichkeiten der Universität betreten, ohne von euren Mitstudenten in eine ganz bestimmte Rolle gezwängt zu werden, die aus euren Fehlern und deren Vorurteilen resultiert. Schließlich ist es nichts Neues, dass sich jede auch so unbedeutende Kleinigkeit innerhalb dieser Gemäuer herumspricht. Gnadenlos ist das Urteil der anderen und oftmals unverschämt unberechtigt das Bild, das sie von uns haben.
Doch heute Nacht, heute, am 19. Oktober 2013, ist es egal, wer man ist, aus welcher Ecke New Yorks man kommt, was man getan oder nicht getan hat. Denn heute Nacht verstecken wir uns alle hinter Masken, Perücken, allem, was uns Anonymität verleiht. Diese Veranstaltung im Festsaal der NYU gibt jedem eine Chance, der das Spiel mit der Identität wagen will. Wir wollen mit Freunden, guter Musik, kühlen Drinks und neu erlangter Motivation ins neue Semester starten und uns mit jede Menge Krach und unendlich viel Spaß von den heiß geliebten Sommerferien verabschieden. Doch vor allem wollen wir zur Abwechslung Eines – für andere unerkannt bleiben, denn Anonymität bedeutet nicht nur, sich vor Unangenehmem zu verstecken. Nein, es bedeutet auch, einen kleinen Neustart zu wagen. Mal ehrlich, kann den nicht jeder von uns gebrauchen? Wir alle haben in den letzten Monaten viel erlebt, Positives sowie Negatives. Hier ist die Chance, sich von all dem zu befreien und sich als derjenige Mensch zu präsentieren, der man sein möchte. Wir werden Menschen kennenlernen, deren Gesicht uns verborgen bleibt, tanzen und feiern und wissen bei all dem nicht, wer im Augenblick neben uns steht, wer uns anlächelt, wer uns völlig ‚unabsichtlich‘ berührt. Klingt doch spannend, oder? Also, meine Damen und Herren, schlüpft in eure bezauberndsten Kleider und eure hinreißendsten Anzüge, verhüllt euch, lasst euch nicht zu schnell enttarnen!
„Es ist etwas zu früh, findest du nicht? Wo bleibt denn da der Nervenkitzel?“, entgegnete die junge Frau ihrem männlichen Gegenüber mit einem leichten Lächeln und nahm das Glas Prosecco entgegen. Etwas neugierig biss sie sich auf die Unterlippe, blickte ihm immer noch tief in seine dunklen Augen. Früher oder später würde er schon noch erfahren, mit wem er es zu tun hatte, doch bis dahin… genoss sie es, den interessanten jungen Mann an ihrer Seite gekonnt auf die Folter zu spannen.
Ein abschließender Tipp an euch, New Yorker: Seid auf der Hut, seid aufmerksam! Denn nicht jeder, der heute freundlich erscheint, ist es auch und wer uns auf den ersten Blick unheimlich ist…. der bereitet uns möglicherweise die schönste Nacht unseres Lebens! |